Kurzbericht | 06. Februar 2023

Digitale Quellen- und Werkverzeichnisse in der Musikwissenschaft, Workshop an der SLUB, 10./11. November 2022

Schlagworte
Kurzbericht
Workshop Werkverzeichnisse

Workshop Werkverzeichnisse

"Digitale Quellen- und Werkverzeichnisse in der Musikwissenschaft Workshop an der SLUB, 10./11. November 2022" CC-BY-SA Autor:in: Katrin Bicher, Besitzer:in: Katrin Bicher

«Die (...) Neuausgabe des Beethoven-Werkverzeichnisses wird vermutlich die letzte sein, die im Druck erscheint. Die Zukunft einer solchen Sammlung und Aufbereitung von Informationen liegt im digitalen Medium.»

Mit diesen Worten schließt die Einleitung zu den zwei dicken Bänden, die im Jahr 2014 zum neuen Markstein der Beethoven-Forschung wurden. Seither wurden mit mehreren Projekten Grundlagen für digitale Quellen- und Werkverzeichnisse gelegt; mit dem XML-Schema MEI (Music Encoding Initiative) hat sich eine bereits vielfach erprobte Basis für die Arbeit entwickelt. Weitere Werkverzeichnis-Projekte, zum Teil basierend auf TYPO3-Extensions, zum anderen Teil als eigenständige Präsentationssysteme für MEI-Daten, befinden sich ebenfalls in der Aufbau- oder in der Planungsphase.

Besonders fruchtbar werden die Möglichkeiten eines digitalen Verzeichnisses für komplexe Werke oder Werkkonvolute mit vielfältigen Verweisungs- und Verbindungslinien – wie es beispielsweise bei Franz Liszt zu erwarten ist. Seine Werke entwickelten sich oftmals über Jahrzehnte hinweg fluid und oft genug in Prozessen von kollektiver Autorschaft weiter, sodass Konzepte wie „Original“ und „Bearbeitung“ oder „Werk“ und „Fassung“ nicht immer griffig erscheinen. Dies manifestiert sich in drei vorliegenden Systematisierungsversuchen (Raabe, Searle, Mueller/Eckhardt)*, die an vielen Stellen zu unterschiedlichen (und nicht immer befriedigenden) Ergebnissen kommen.

Im Juni diesen Jahres startete mit dem «Digitalen Liszt Quellen- und Werkverzeichnis» (LisztQWV, getragen von der Universität Heidelberg, der SLUB Dresden und dem Goethe- und Schiller-Archiv Weimar) ein DFG-Langfristvorhaben mit dem Ziel, unterschiedliche Zugänge zum musikalischen Oeuvre Franz Liszts und den dazugehörenden Quellen im digitalen Raum zu ermöglichen. Um von Projektbeginn an den Austausch zu pflegen und eine größtmögliche Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, bot es sich an, die konzeptionelle und technische Basis des Verzeichnisses im Kontext ähnlicher Projekte zu diskutieren. Das Projekt-Team lud daher gemeinsam mit NFDI4Culture für den 10. und 11. November zu einem Workshop nach Dresden ein, der dem Erfahrungsaustausch zwischen laufenden und abgeschlossenen Projekten sowie weiteren Vertreter*innen der Digital Community diente.

Input-Referate, eine Poster-Session, spezialisierte Gruppendiskussionen sowie ein abschließendes World Café ermöglichten einen vielseitigen Austausch. Mitarbeiter des LisztQWV präsentierten zuerst den aktuellen Stand des Projekts, insbesondere die bereits laufende Erschließung der Quellen sowie erste Überlegungen zu Datenhaltung und –flüssen. Anschließend stellte Peter Stadler (Paderborn) die in Kopenhagen entwickelte MerMEId-Software vor, eine Erschließungsmaske für Metadaten im MEI-Format, die aktuell in Paderborn als Community-Projekt weiterentwickelt wird. Laurent Pugin (RISM Digital Center, Bern) sprach wiederum über die Rolle, die das internationale Quellenlexikon der Musik RISM bei der Genese von Digitalen Werkverzeichnissen spielt und in Zukunft spielen könnte. Dennis Ried (Paderborn) thematisierte als Sprecher der Fachgruppe MEI-Metadata hingegen die Arbeit mit dem MEI-Header sowie Chancen und Schwierigkeiten bei der Anwendung der in MEI angelegten FRBR-Ebenen (in den Functional Requirements for Bibliographic Records wird konzeptuell zwischen den Ebenen Work, Expression, Manifestation und Item unterschieden – was an verschiedenen Stellen für Komplikationen sorgen kann) auf komplexe Werke oder Werkkonvolute.

Auf Postern stellten die teilnehmenden Projekte zu Anton Bruckner, Christoph Willibald Gluck, Johannes Brahms, Joseph Haydn, Georg Philipp Telemann und Franz Liszt sowie zu vorderorientalischen Musikhandschriften (Corpus Musicae Ottomanicae) ihre jeweiligen Herangehensweisen vor – eine für alle praktikable Einheitslösung existiert nicht, wie sich schnell herausstellte. Ein weiteres Poster von Silke Reich thematisierte die Darstellung von Aufführungen im FRBR-Modell. In den Diskussionen stellten sich folgende Aspekte projektübergreifend als relevant heraus, denen sich die Projekte – da sich die vorliegenden Oeuvres und die bei Projektbeginn oftmals bereits vorgefundenen Daten stark unterschieden – auf individuell passende Weise angenähert haben: Ein besonderes Gewicht lag in der Diskussion auf dem Verhältnis zwischen lokaler Datenhaltung einerseits und Drittrepositorien, insbesondere RISM (die für die primäre Datenerschließung oder aber für die weitere Sichtbarmachung anderweitig erschlossener Daten genutzt werden können) und Normdatenhubs andererseits. Diskutiert wurden die Datenflüsse, die aufgrund unterschiedlicher Datenformate (u.a. MARC21, MEI oder MerMEId-spezifisches MEI) genau geplant werden müssen und Folgen für die Wahrung der Datenhoheit und die Versionierung haben. Weitere Schwerpunkte betrafen die Front-End-Präsentation, um die Nutzerfreundlichkeit von Projektbeginn an im Auge zu behalten, die Gestaltung der Erschließungsmasken zur Standardisierung von Einträgen und Workflows. Aus IT-Sicht wurden Schlaglichter auf emergente Technologien wie Semantic Data geworfen, die aus unterschiedlichen technologischen Bereichen stammend in den Digital Humanities Fuß fassen. Basierend auf den Ergebnissen des Workshops beginnt nun die detaillierte Planung der technischen Realisierung des LisztQWV. Darüber hinaus wurde einhellig konstatiert, dass der fruchtbare Austausch zwischen den verschiedenen Projekten eine Fortsetzung finden soll!

Severin Kolb, Katrin Bicher und Matthias Richter

* Peter Raabe: Franz Liszt, Bd. 2: Liszts Schaffen, Stuttgart 1931 (Tutzing 21968).
* Humphrey Searle und Sharon Winklhofer: Franz Liszt, in: Chopin,  Schumann,  Liszt.  The  New  Grove  Early  Romantic  Masters,  New  York  und  London  1985,  S. 237–378.
* Alan Walker, Maria Eckhardt und Rena Charnin Mueller: Art. „Liszt, Franz“, in:  The new Grove dictionary of music and musicians, Bd. 14, London und New York 2001, S. 755–877.