NFDI4Culture Success Story | 01. Juli 2024
What are you brewing in your lab? Ein LIDO-Anwendungsprofil für das Portal "Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" der Deutschen Digitalen Bibliothek
Von Angela Kailus, M. A. , Romy Köhler, M. A. und Dr. Celia Krause
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Sculpture collection, American Indian Museum
"Sculpture collection, American Indian Museum" CC0 Autor:in: Caroline Léna Becker
Im Rahmen der gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen initiierten 3 Wege-Strategie für die Erfassung und digitale Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland hat die Deutsche Digitale Bibliothek den Auftrag erhalten, ein zentrales Online-Portal aufzubauen. Es soll Transparenz über die Bestände an Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen und Wissenseinrichtungen herstellen, um eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte aus musealen Perspektiven zu ermöglichen. Eine erste Version des Angebots Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten (Collections from Colonial Contexts, CCC) ist seit 2021 verfügbar.
Für die digitale Provenienzforschung zum kolonialen Erbe ist die Umsetzung der CARE-Prinzipien eine zentrale Herausforderung. Sie fordern einen angemessenen Umgang mit Daten aus der Sicht indigener Gemeinschaften ein. Deshalb hat die Deutsche Digitale Bibliothek einen breiten Dialog mit akademischen Vertreter:innen aus Herkunftsgesellschaften und mit den Institutionen begonnen, die mit der kooperativen Provenienzforschung zu ihren Sammlungsbeständen befasst sind. Zusätzlich richtete sie das CCC-LIDO-Lab ein. Es ist damit beauftragt, ein neues Anwendungsprofil für das Datenbereitstellungsformat LIDO (Lightweight Information Describing Objects) der Deutschen Digitalen Bibliothek zu entwickeln, das perfekt zum CCC-Portal passt.
NFDI4Culture legt großen Wert darauf, Standards zu verwenden. Diese stellen sicher, dass Forschungsdaten gemäß den FAIR-Prinzipien umfassend wiederverwendet werden können. Als NFDI4Culture-Akteure unterstützen das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg und die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen das CCC-LIDO-Lab des Konsortialpartners Deutsche Digitale Bibliothek dabei, existierende Standards bei der Neuentwicklung umfassend zu berücksichtigen. Das Hauptziel besteht darin, Sonderlösungen zu vermeiden und stattdessen die Dokumentationsanforderungen der Provenienzforschung in LIDO zu integrieren, das bereits weit verbreitetet ist. Das stärkt die Interoperabilität von Datenbeständen aus verschiedenen Quellen.
In vielen Sammlungen hat die Aufarbeitung des kolonialen Erbes gerade erst begonnen. Deshalb profitieren nicht nur die Datenlieferanten des Portals von dem neuen CCC-LIDO-Anwendungsprofil, sondern alle Provenienzforscher:innen, die Fragen nach den Funktionen von Museumsobjekten in ihren Herkunftsgesellschaften und den [Unrechts-]Kontexten ihres Erwerbs nachgehen.
Bei der Erstellung des CCC-Datenfeldkatalogs sind fachliche Kompetenzen der Naturkunde und Ethnologie und der beteiligten Institutionen und Akteure zusammengeflossen. Diese fächerübergreifende Zusammenarbeit und Bündelung der Kompetenzen hat sehr zum Erfolg des Projektes beigetragen.

Prof. Dr. Wiebke Ahrndt | Übersee-Museum Bremen
Mit ihrer Bereitschaft, über durch den globalen Norden geprägte Objekterfassungskategorien und Provenienzforschungsfragen hinauszudenken, ohne gleichzeitig diesen Aspekt der musealen Wissenschaftsgeschichte in der LIDO-Dokumentation zu vernachlässigen, haben wir durch die NFDI4Culture-Expert:innen eine sehr kompetente Beratung erfahren.

Romy Köhler, M. A. | Deutsche Digitale Bibliothek, Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Für die Empfehlungen zur Erschließung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten haben wir von der Expertise der Kolleg:innen von NFDI4Culture profitiert. Diese beziehen sich auf die Verwendung kontrollierter Vokabulare oder die Ausweisung von Wissenslücken.

Lisa Quade, M. A. | Deutsche Digitale Bibliothek, Stiftung Preußischer Kulturbesitz
LIDO ist ein internationales Format zur Bereitstellung von beschreibenden Informationen zu digitalisierten Kulturerbe-Objekten. Es ermöglicht die Veröffentlichung, gemeinsame Nutzung und Verknüpfung von Daten im Internet. Das Format basiert auf dem CIDOC Conceptual Reference Model (CRM), dem ISO-Standard für Informationsaustausch und -integration im Kulturerbe-Bereich. Immer mehr Museen und Sammlungen nutzen LIDO als Ausgangspunkt für die Publikation ihrer Metadaten zu kulturellen Objekten. Zunehmend wird es auch in Forschungsprojekten eingesetzt.
Die Weiterentwicklung von LIDO ist ein Projektziel von NFDI4Culture. In der engen Zusammenarbeit mit dem CCC-Lab geht es vor allem darum, die standardkonforme Formatentwicklung entsprechend den konkreten Dokumentationsanforderungen der Provenienzforschung in kolonialen Kontexten zu unterstützen und dabei auch die Nachnutzbarkeit des Profils für anders gelagerte Dokumentationsschwerpunkte zu gewährleisten. Dabei kann man auf die Erfahrung der Mitarbeiterinnen von NFDI4Culture in der LIDO-Entwicklung zurückgreifen.
Worin bestehen die neuen Dokumentationsanforderungen für das CCC-LIDO-Profil? Es ist wichtig, dass die Erwerbungsumstände von Objekten, die häufig von Unrechtskontexten und Informationsverlust gekennzeichnet sind, angemessen nachgewiesen werden können. Es ist daher erforderlich, ein aussagekräftiges und differenziertes kontrolliertes Vokabular für die Bezeichnung der Ereignisse von Besitz- oder Eigentumswechsel in den jeweiligen Objektbiografien zu entwickeln, das eine angemessene Dokumentation neuerer Ergebnisse der Provenienzforschung in den einzelnen Sammlungen ermöglicht und im Diskurs mit den Herkunftsgesellschaften konsensfähig ist. Diese erweiterte Terminologie gestattet eine differenzierte Verzeichnung von Provenienzereignissen mit den jeweils beteiligten Personen und Institutionen, Orten und Zeiträumen unter Nennung der jeweiligen Akteursbeziehungen.
Bedeutsam für das historische Verständnis der Objekte in kolonialen Kontexten ist auch, dass ihre Identifikation oft von unzureichenden Kenntnissen und mangelnder Quellenlage begleitet wurde. Das beeinflusste auch ihre Eingliederung in die Sammlungsordnungen der europäischen Museen. Bei der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte aus musealer Perspektive sollen diese kolonialzeitlichen Praktiken der Wissensproduktion nicht etwa negiert und überschrieben, sondern als Forschungsaktivität dokumentierbar werden. Auch hier geht es darum, eine Terminologie zu entwickeln, mit der die Aktivitäten der Benennung, Einordnung und Bedeutungszuweisung an die Objekte in den einzelnen Sammlungen adressiert werden können. Die Interpretationen, denen Objekte im Rahmen des Sammelns und der Forschung unterlagen und unterliegen, werden selbst zum Thema der Dokumentation und können nun auch maschinell ausgewertet werden. Auf dieser Grundlage fließen auch aktualisierte Erkenntnisse aus kooperativer Forschung mit Vertreter:innen aus Herkunftsgesellschaften in die digitale Provenienzdokumentation ein.
Für die semantischen Definitionen der neuen LIDO-Terme kooperieren die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen im Projekt Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten der Deutschen Digitalen Bibliothek mit Sammlungsforscher:innen und Datenexpert:innen des Netzwerks Provenienzforschung in Niedersachsen, des Übersee-Museums Bremen, der Ethnografischen Studiensammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland. Über die LIDO-AG der Fachgruppe Dokumentation des Deutschen Museumsbunds ist eine Rückbindung an die nationale und internationale Weiterentwicklung von LIDO gewährleistet.
Der überarbeitete LIDO-Feldkatalog und die Erweiterungen des kontrollierten Vokabulars sind Grundlage für die neue Version des CCC-Portals, die im Juli 2024 online gehen wird.
Um Sammlungen darin zu unterstützen, möglichst hochwertige und differenzierte Daten an das Portal liefern können, hat die Deutsche Digitale Bibliothek Erschließungshilfen zum CCC-LIDO-Anwendungsprofil bereitgestellt, die durch anschauliche Beispieldatensätze ergänzt werden. Das erweiterte LIDO-Vokabular steht offen lizensiert allen Interessierten und zukünftigen Datenlieferanten zur Verfügung.
Diese Materialien bilden eine gute Grundlage für Vermittlungs- und Schulungsaktivitäten in dieser großen Community und für die Entwicklung von Standards in der Provenienzforschung allgemein. Das CCC-LIDO-Lab hat mit NFDI4Culture ein bedarfsgerechtes und konsistentes Anwendungsprofil erarbeitet, das die Interoperabilität dieser Daten in übergeordneten Zusammenhängen gewährleistet.
Koordination & Redaktion
Zahia Schlott, M. A. | Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz