Bericht | 18. Oktober 2023

Lost without emulation? Gemeinsames Panel von NFDI4Culture und media/rep/ zur Archivierung digitaler Spiele auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft

Von Dr. Alexander Stark

Computer games, Keyboards, tapes and a Game Boy

Computer games and tapes

"Computer games, keyboards, tapes and a Game Boy" Autor:in: Lorenzo Herrera, Besitzer:in: https://unsplash.com/de

Wo beginnt die Geschichte digitaler Spiele kritisch zu werden? Wie lässt sich anhand von Archivierungsbedingungen und medientechnischen Abhängigkeitsverhältnissen Computerspielgeschichte schreiben und erhalten? Die fehlende Dokumentation mancher Spiele, die in den Anfängen oft nur auf Großrechnern liefen (Spacewar! von 1962), mag nur ein Beispiel unter vielen sein. Auch heute gestaltet sich die langfristige Sicherung digitaler Spiele immer noch schwierig. Langzeitarchivierungsstrategien wie Bitstream Preservation oder Formatmigration sind nicht geeignet, um digitale Spiele wie andere dynamische digitale Objekte langfristig und nachhaltig zugänglich zu machen. Emulierende Umgebungen hingegen sind aufwändig und kostenintensiv. So drohen in Zukunft weite Teile dieses Kulturerbes verloren zu gehen und die Forschungsarbeit mit dynamischen digitalen Objekten beeinträchtigt zu werden.

Um diese drängenden Probleme und Fragen zu diskutieren, richteten die Cultural Research Data Academy und das medienwissenschaftliche Repositorium media/rep/ im Rahmen des Forums Medienwissenschaft in NFDI4Culture ein gemeinsames Diskussionspanel bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft aus. Diese fand vom 27. bis 30. September 2023 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn zum Thema „Abhängigkeiten“ statt. Das Panel mit dem Titel „Lost without emulation? Zur Abhängigkeit dynamischer digitaler Objekte von aktuellen Langzeitarchivierungsstrategien am Beispiel digitaler Spiele“ versammelte Vortragende aus den betroffenen Bereichen, um konservatorische oder medienarchäologische Fragen aufzuwerfen und den Blick auf teilweise immer noch vernachlässigte Themenfelder wie Musik und Sound zu lenken.

Die Panelist:innen Dîlan Canan Çakir, M.A. (Freie Universität Berlin, zuvor Deutsches Literaturarchiv Marbach), Alexander Holz, M. A. (Deutsches Literaturarchiv Marbach), Prof. Dr. Dr. Stefan Höltgen (SRH Heidelberg) und Jun.-Prof. Dr. Melanie Fritsch (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) stellten zunächst in kurzen Inputs ihre Perspektiven auf das Thema vor: Çakir und Holz berichteten von der Sammlungstätigkeit im Bereich digitaler Spiele beim Deutschen Literaturarchiv Marbach, die vor allem unter den Gesichtspunkten des Bezugs zur Literatur erfolgt. In diesem Kontext finden auch Produktionen von Schriftsteller:innen, die Spieleautor:innen geworden sind, als Hybridformen zwischen Literatur und Spiel sowie erzählerische Experimente Berücksichtigung. Digitale Spiele werden dabei als Sonderformen von Born-digitals behandelt. Höltgen ging auf geschichtliche und technische Aspekte von Emulatoren ein und fokussierte auf die Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen, die solche Softwareprogramme mit sich bringen: So etwa den Umstand, dass Emulatoren zum größten Teil von Hobbyist:innen entwickelt werden, was zwar für eine Vielfalt von Emulatoren sorgt, jedoch keinesfalls einen dauerhaften und fehlerfreien Betrieb sicherstelle. Zudem bilden Emulatoren stets nur idealtypische Systeme ab. Fritsch stellte die Herausforderungen vor, vor denen sie im Bereich der Ludomusicology steht: Häufig mangelt es in den Spielen selbst sowie in der Überlieferung an Metadaten zu beteiligten Komponist:innen/Sounddesigner:innen, die Recherchen hierzu gestalten sich schwierig. Zudem machen Emulatoren die Spiele zwar wieder spielbar, es fehlen jedoch die Geräusche der originalen Spielumgebung (bspw. Hardwaregeräusche), die als Teil der historischen Aufführungspraxis betrachtet werden müssen.

Im Anschluss an die Inputs wurde die Diskussion (moderiert von Prof. Dr. Malte Hagener) für alle Teilnehmenden geöffnet. Diskutiert wurden unter anderem die bestehenden Hürden und Herausforderungen bei der Bewahrung und Erforschung von digitalen Spielen. Dabei wurde klar, dass sich die historischen Spielumgebungen nur in Grenzen bewahren und mit Emulatoren rekonstruieren lassen. Dies gilt insbesondere für die Soundscapes von digitalen Spielen, die durch die verwendete Hardware mitgeprägt wurden. Untrennbar mit der Frage der Archivierung verbunden sind rechtliche Abhängigkeiten, da viele Unternehmen mit ihren Mitarbeiter:innen sowie Forscher:innen non-disclosure agreements schließen, die ein Hindernis für die Forschung darstellen. Gleichzeitig ist die unternehmensseitige Archivlage jedoch oft schlecht. Gründe hierfür sind beispielsweise Firmenübernahmen, aber auch ein generell schwaches Archivbewusstsein in der Computerspielbranche. Auch der Übergang der Games-Branche vom Vertrieb von Games als Born-digitals hin zu Born-virtuals stellt die Archivierungspraxis bezüglich der unterschiedlichen Workflows vor große Herausforderungen.

Einen möglichen Beitrag, um die bestehende, prekäre Situation zu verbessern, sahen die Diskutant:innen im stärkeren Zugehen von Forschung und Archiven auf die Produktionsfirmen sowie in möglichen Kollaborationen, um auf die Schaffung einer pragmatischen Archivkultur im Games-Bereich hinzuwirken. Als eine weitere wichtige Maßnahme zum Erhalt dieses Kulturerbes wurde eine idealerweise möglichst umfassende, systematische Archivierung von digitalen Spielen (verschiedene Versionen, aber u.a. auch Begleitmaterialien wie Wallpaper und durch die Communities kreierte Inhalte sowie Foren-Diskussionen, die die Rezeptionsgeschichte belegen) durch öffentliche Träger diskutiert, da dies bislang vor allem auf private Initiativen hin erfolgt. Dies müsste einhergehen mit der Schaffung von Standards für Games-bezogene Metadaten sowie der Gewährung von Sonderrechten für Archive in Bezug auf die Erhaltung und Zugänglichmachung digitaler Spiele. Emulatoren können dazu beitragen, diese Spiele überhaupt in Grenzen nacherlebbar zu machen, doch sollte ihre Entwicklung und Versionierung nachvollziehbar gestaltet sein. In den letzten Jahren kommen hierzu schon verstärkt Repositorien zum Einsatz.