Anna Till, Variation auf “parallel situation”

Variation auf “parallel situation” TILL&LUBICH

"Variation auf “parallel situation” TILL&LUBICH" CC0 Autor:in: Barbara Lubich, Besitzer:in: TILL&LUBICH

Vom 14. bis 15.09.2023 fand am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig das NFDI4Culture-Forum „PERFORMANCE – PRODUKTIONEN – DATEN. Modellierung und Vermittlung ereignisbezogener Informationen“ statt, veranstaltet von den Aufgabenbereichen Cultural Research Data Academy und Standards, Datenqualität und Kuratierung.

Ziel dieser hybriden Veranstaltung war der sparten- und fachübergreifende Austausch über die Erfassung, Aggregation und Anreicherung von ereignisbezogenen Daten und zu Perspektiven auch für die Entwicklung adäquater Datenmodelle im Bereich der Performing Arts.

Den Auftakt bildeten am Vorabend der Veranstaltung drei Online-Workshops von Konsortiumsmitgliedern. Zunächst stellten Katharina Bergmann und Andrea Polywka als Teil der Cultural Research Data Academy (CRDA) ein Angebot aus der Reihe von Basiskursen zum Forschungsdatenmanagement (FDM) vor, dieses Mal mit dem Schwerpunkt auf audiovisuellen Forschungsdaten. Im ersten Teil des anderthalbstündigen Workshops wurden wichtige Begriffe aus dem Forschungsdatenmanagement erläutert und anhand von konkreten Beispielen audiovisueller Daten veranschaulicht. Im zweiten Teil folgte ein Projekt-Bericht von Dennis Friedl (Universität Paderborn), welcher einen Einblick in die Arbeit der Korngold-Werkausgabe gewährte, mit Fokus auf Arbeiten des Filmkomponisten Erich Wolfgang Korngold. Neben der Annotation von klassischen Notenbänden wird in dem Projekt eine hybrid konzipierte kritische Edition angestrebt, die insbesondere audiovisuelle Daten behandeln wird.
Der Online-Workshop „3D-Modelle für die Performing Arts“ von Zoe Schubert und Lozana Rossenova (NFDI4Culture Aufgabenbereich „Digitalisierung und Anreicherung digitaler Kulturgüter“) musste entfallen, aber der Aufgabenbereich plant ein weiteres Workshop-Angebot für die Community der Performing Arts im nächsten Frühjahr 2024.
Ein dritter Workshop wurde von Robert Nasarek (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) angeboten und stellte die Wissenschaftliche Kommunikationsinfrastruktur (WissKI) vor, eine Linked-Open-Data-Erweiterung für das Content Management System Drupal. Diese Software ermöglicht es Forscher:innen, Daten nach den FAIR-Prinzipien zu erstellen und dynamisch im Internet zu publizieren. Im Workshop wurden die wichtigsten Funktionen von WissKI hervorgehoben und anhand eines einfachen Beispiels aus den Darstellenden Künsten veranschaulicht. Dabei wurden der Ablauf und die Möglichkeiten der semantischen Datenmodellierung mit WissKI näher erläutert. Die Veranstaltung bot den Teilnehmern eine umfassende Einführung in die Nutzung und die Vorteile der Wissenschaftlichen Kommunikationsinfrastruktur im Rahmen des Forschungsdatenmanagements.

Am Donnerstag, den 14.09.2023, erfolgte die offizielle Eröffnung des Forums durch Prof. Dr. Patrick Primavesi, der die spezifischen Bedarfe einer Kuratierung und Standardisierung von Daten im Bereich der Performing Arts skizzierte. Insbesondere der Bezug zu konkreten Ereignissen bzw. Produktionen wie auch zu deren jeweiligen Kontexten sei in den bisher verfügbaren, zumeist objektbezogenen Daten der Gedächtnisinstitutionen noch kaum gegeben. Eine adäquatere Modellierung und eindeutige Referenzierbarkeit ereignisbezogener Daten wäre gerade im Zusammenspiel verschiedener Stakeholder erreichbar, zu denen neben Forschung und Sammlungen auch die produzierenden Künstler:innen und vermittelnden Institutionen zählten. Das Forum verstehe sich auch als Gelegenheit zum Austausch dieser Erfahrungs- und Wissensbereiche, mit ihren jeweils spezifischen digitalen Infrastrukturen.

Im ersten Panel ging es um das Thema „Vernetzen und zugänglich machen“. Die Präsentation des Projekts „Mediatheken der Darstellenden Kunst digital vernetzen” (mv:dk) von Christine Henniger (Internationales Theaterinstitut Deutschland, Mediathek für Tanz und Theater), Dr. Sara Tiefenbacher (Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, mv:dk) und Mag. Dr. Klaus Illmayer (OEAW ACDH-CH). Der Fokus lag auf Arbeitsprozessen und dem Aufbau einer übergreifenden Dateninfrastruktur für Mediatheksmetadaten zur Recherche und Erforschung audiovisueller Bestände an theater- und tanzwissenschaftlichen Instituten. Insbesondere wurde die projektbezogene Datenmodellierung, die auf domänenspezifischen Ontologien und für die Beschreibung von audiovisuellen Ressourcen grundlegenden Spezifikationen aufbaut, vorgestellt und genauer erläutert.
Sören Fenner präsentierte das von Theapolis im Rahmen von Neustart-Kultur getragene Projekt zur Entwicklung einer Produktionsdatenbank für die Freien Darstellenden Künste. In mehreren interdisziplinären Beteiligungsforen wurden dafür das Datenmodell sowie die Frage nach Relevanzkriterien, Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten der Daten und viele weitere Themen mit Stakeholdern und Akteur:innen der Performing Arts diskutiert.
Daraufhin stellten Sina Schmidt (Deutscher Bühnenverein) und Tina Lorenz (Staatstheater Augsburg) das vom Deutschen Bühnenverein koordinierte Projekt „Smarte Theaterdienste”, Use Case 3 des „Datenraum Kultur“, vor. Ziel ist die Entwicklung maschinenlesbarer Spielpläne und ein daraus resultierender Mehrwert für die beteiligten Kulturbetriebe.

Im zweiten Panel wurde das Feld „(Künstlerische) Forschung“ erörtert: Prof. Dr. Berenika Szymanski-Düll und Jorit J. Hopp (Ludwig-Maximilian-Universität München) stellten ihr Forschungsprojekt „T-MIGRANTS: Theatermigrationen und ihre Daten“ vor. Dem Projekt geht es darum, anhand einer Reihe von Case Studies einen Bestand an Daten über Theatermigrant:innen zu sammeln, zu analysieren und digital zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck wurde eine Datenbank entwickelt, die als Repositorium und gleichzeitig als Grundlage für die Analyse und Visualisierung der verwendeten Daten dient. Anschließend stellte Dr. Vera Grund (Universität Paderborn) das DFG-Projekt „Tanz/Musik digital“ vor. Das Ziel des Projektes ist es, eine Editionsmethode zu entwickeln, mit welcher die vielgestaltigen Quellen zum Tanz in einem multimodalen Strukturmodell digital verknüpft werden können. Visualisierung und Analyse von Tanzposen, animierten Gesten sowie Tanzschritten werden im Rahmen dieses Projektes mit Informationen aus der Musik, aus Bildern und aus Texten verbunden, was den interdisziplinären Ansatz des Projektes gut verdeutlicht. Das Panel schloss mit einem Beitrag von David Rittershaus (Hochschule Mainz) zum Projekt „#vortanz. Automatisierte Vorannotation in der digitalen Hochschultanzausbildung“. Innerhalb des Verbundprojektes kann das Mainzer Projekt „Motion Bank“ seine Software zur Annotation von Tanz weiterentwickeln, mit einem Fokus auf der Tanzausbildung an Hochschulen. Die entwickelte Software kann auch in andere Kontexte und Fachbereiche übertragen werden, welche sich mit audiovisuellen Medien beschäftigen.

Eine von Prof. Dr. Malte Hagener moderierte Roundtable Discussion brachte am späten Nachmittag Vertreter:innen der Fachinformationsdienste (FID) musiconn, arthistoricum, adlr.link und performing-arts.eu ins Gespräch.
Patricia F. Blume (adlr.link & rufus, Universitätsbibliothek Leipzig), Dr. Christian Kämpf (musiconn, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden), Franziska Voß (performing-arts.eu, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main) und Johannes Wolf (arthistoricum.net, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) stellten sich nach einer kurzen Präsentation ihrer jeweiligen Aufgabenfelder und Arbeitsalltage den Fragen des Moderators und des Publikums. Während der Diskussion wurden die zum Teil unterschiedlichen Förderungssituationen und -bedingungen angesprochen, sowie die bisherigen Kooperationsmöglichkeiten und -ziele von den Fachinformationsdiensten und den NFDI-Konsortien. Letztere wurden als sehr konstruktiv beschrieben, insbesondere die Rolle des NFDI-Vereins, die vor allem in der Vernetzung, Außenwirkung, strategischen Entwicklung und Homogenisierung von unterschiedlichen Datenkulturen in den Fächern besteht. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Aufgabe, Bedenken gegenüber der NFDI abzubauen und den Förderern zu verdeutlichen, dass das Erfolgskonzept in dem Zusammenspiel und in ergänzenden Kooperationen von FIDs und NFDI-Konsortien liegt sowie in der Verbindung von Community-Nähe und fachlich kompetenter Vernetzung. Auch die Frage nach der Internationalisierung der vorgestellten Services wurde gestellt, worauf der Austausch der NFDI mit der European Open Science Cloud (EOSC) erwähnt wurde – in den FID wird dieses Thema aufgrund der aktuellen Förderbedingungen gerade erst angegangen. Für das Weiterkommen bei dieser Frage wurde vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in der Pflicht gesehen, stärker aktiv zu werden und die Rahmenbedingungen für internationale Kooperationen auch in geförderten Projekten zu verbessern.

Als Ergänzung zum inhaltlichen, künstlerisch- und forschungsorientierten Austausch fand am Abend eine Lecture-Performance des Künstler:innen-Duos TILL&LUBICH statt: In Anlehnung an ihre Tanz- und Medienperformance „parallel situation“  von 2017 führten Barbara Lubich und Anna Till szenische Situationen für einen Seminarraum vor, in denen Tanz und Fotografie mithilfe digitaler Projektion in Wechselwirkung treten. Eine Aufzeichnung der Performance wird in Kürze veröffentlicht werden.

Am Freitag, den 15.09.2023, ging es weiter mit dem dritten Panel „Präsentation und Vermittlung“: Julia Decker und Livia Rutishauser vom Dachverband Tanz stellten „tanz:digital“ vor, eine zentrale Streaming- und Wissensplattform für die Tanzszene in Deutschland. Nutzer:innen des Angebots bietet tanz:digital Vernetzungs- und Präsentationsmöglichkeiten an. Als zweiten Input präsentierten Sarah Youssef (Projektleitung Digi-Kunst.nrw, Robert Schumann Hochschule Düsseldorf) und ihre Kollegen, René Bialik und Christian Sievers, organisatorische, konzeptuelle und technische Aspekte zum Thema der Langzeitarchivierung (LZA) für Kunst- und Musikhochschulen. Das Ziel des Digi-Kunst.nrw Projekts ist es neben der Langzeitarchivierung auch eine Web-Oberfläche zu schaffen, die für die künstlerische, wissenschaftliche und auch öffentliche Nutzung zur Verfügung stehen soll. An dritter Stelle wurde die Akademie für Theater und Digitalität von Tina Lorenz (Theater Augsburg) und Marcus Lobbes (Theater Dortmund, Akademie für Theater und Digitalität) vorgestellt, welche künstlerische Forschung ermöglicht und zugleich eine technikorientierte Aus- und Weiterbildung anbietet. Die anschließende Diskussion verdeutlichte den wachsenden Bedarf am Austausch von Erfahrungen und Informationen bezüglich der Entwicklung solcher fachspezifischen Plattformen.

Das vierte Panel widmete sich dem Themenkomplex „Infrastrukturen und Datenmodellierung“: Beat Estermann vom Verein Opendata.ch und der Hochschule der Künste Bern betonte die Relevanz von Linked Data für Ereignisse in den Performing Arts und verwies auf bestehende internationale Projekte auf diesem Gebiet, u.a. auf wikidata. Im Anschluss wurde diskutiert, inwiefern NFDI4Culture im Sinne einer Beteiligungsstruktur die Vernetzung und den Austausch für Standorte außerhalb Deutschlands, wie beispielsweise in der Schweiz, anbieten kann, die Unterstützung etwa bei der Datenanreicherung benötigen. Der zweite Beitrag von Steffen Wedepohl bot einen Einblick in das „Digitale Archiv der Freien Darstellenden Künste“ (DAFDK), das im Herbst 2022 an den Start ging. In drei Jahren soll eine öffentlich zugängliche, digitale Plattform entstehen, auf der Bestandshalter:innen die Dokumente und Materialien ihrer künstlerischen Produktionen und Arbeitsprozesse verzeichnen können. Als dritten Input ermöglichten Dr. Melanie Gruß und Franziska Voß einen Einblick in die Tätigkeiten der Arbeitsgruppe Performing Arts des Standardisierungsausschusses der Deutschen Nationalbibliothek. Diese AG entstand nach einem einjährigen Austausch und will innerhalb der Fachcommunity die spezifischen Bedarfe der Forschung und der Gedächtnisinstitutionen adressieren sowie Desiderate im Hinblick auf die Gemeinsame Normdatei (GND) im Bereich der Performing Arts beheben. Insgesamt wurden die Arbeitsgruppen der GND vom Publikum als funktionierende Austauschformate gelobt, aber bereits in vorherigen Panels und Vorträgen wurde Kritik an der Unzugänglichkeit der GND laut. Dies wurde in der anschließenden Diskussion nochmals aufgegriffen mit dem Wunsch, dass die GND offener wird, und Nutzer:innengruppen stärker in die Datenarbeit einbezogen werden. Auch hier bedarf es der Sensibilisierung, Annäherung und Kommunikation von Forschungs- und GLAM-Institutionen (Galleries, Libraries, Archives, Museums).

Beim abschließenden Wrap-Up durch Prof. Dr. Andreas Münzmay wurde auf die große Bandbreite und die interessanten Einblicke der präsentierten Projekte hingewiesen, sowie auf konstruktive Diskussionen, Wünsche und Ideen – ein Erfolg auch für das Konsortium NFDI4Culture, das nicht als allein richtungsweisende und bestimmende Instanz für den Umgang mit Forschungsdaten wahrgenommen werden möchte, sondern in erster Linie seine Aufgabe in der Mitgestaltung und Vermittlung von Aushandlungsprozessen und in einem breiten Angebot von Hilfestellungen und Informationen sieht.

Eine Auswahl an Präsentationsfolien der Vortragenden stehen Ihnen hier zum Download zur Verfügung: https://cloud.nfdi4culture.de/s/QE6pYT6jTQtZ4DQ.